Ein etwas anderer Familienroman. (DR) Daniela Raimondi legt nach zehn Gedichtbänden mit dem vorliegenden Romandebüt eine sich über 150 Jahre erstreckende Familiengeschichte vor. Die Handlung spielt in Stellata, einem Dorf am Rande der Lombardei. Dort muss Ende des 18. Jahrhunderts aufgrund widriger Wetterverhältnisse eine Gruppe Roma längere Zeit verweilen. Bei dieser Gelegenheit verliebt sich Violcca aus dem Volk der Fahrenden in den schwermütigen Bauernsohn Giacomo Casadio. Sie verlässt ihre Familie, die eine Heirat mit den Einheimischen missbilligt. Die beiden begründen eine Familie. Ihre Kinder weisen entweder die Attribute der Casadios auf, mit ihren blonden Haaren, blauen Augen und dem Hang zum Träumen, oder sie kommen nach ihrer Mutter: schwarzäugig und dunkelhaarig mit übersinnlichen Fähigkeiten, wie dem Deuten von Träumen, dem Lesen von Gedanken und dem Sprechen mit den Toten. Nachdem bei Giacomo trotz seiner glücklichen Ehe und der Geburt seines einzigen Sohnes Dollaro die Schwermut überhandnimmt und er sich im ehelichen Schlafgemach erhängt, zieht Violcca bezüglich der Zukunft ihrer Familie die Karten zu Rate. Sie prophezeit eine Zukunft voller Träume, Unglücke und Schicksalsschläge. Raimondi schildert farbenreich und in einer auch noch in der Übersetzung spürbaren dichterischen Sprache die Geschichte der Familie bis in die 70er-Jahre des 20. Jahrhunderts und führt dabei anhand ihrer ungewöhnlichen Charaktere durch die Geschichte Italiens. Die Kinder der Casadios neigen – wie von Violcca prophezeit zu ungewöhnlichen Fähigkeiten und Schicksalen. Das beginnt schon bei Dollaro, der sich als Kind mit seinem soeben verstorbenen Vater unterhält, und geht weiter mit Achille, der, physikalisch und rechnerisch interessiert, versucht, das Gewicht eines Atemzugs zu berechnen. Eine Ur-Ur-Enkelin, Donata, die ungewöhnlicher Weise sowohl das dunkle Haar als auch die blauen Augen geerbt hat, hat neben der familiären Neigung zum Übersinnlichen auch noch die träumerische Seite der Casadios übernommen. Sie scheitert an ihren politischen Fantasmen. Trotz kleiner redaktioneller Ungenauigkeiten sehr empfehlenswert. Auf einen weiteren Roman der Autorin kann man sich nur freuen.
Personen: Raimondi, Daniela Schwaab, Judith
Raimondi, Daniela:
An den Ufern von Stellata : Roman / Daniela Raimondi ; aus dem Italienischen von Judith Schwaab. - Berlin : Ullstein, 2022. - 510 Seiten
ISBN 978-3-550-20176-9 Festeinband : EUR 24,70 (AT)
Schöne Literatur - Signatur: SL Raim - Buch