(Junge Erwachsene) Welche Romanszene, so fragt man sich bei der Lektüre von Umberto Ecos neuem Roman "Die geheimnisvolle Flamme der Königin Loana", würde einem selbst wohl im Gedächtnis geblieben sein, wäre man an Giambattista Bodonis Stelle und könnte sich an nichts aus seinem Leben außer an zahlreiche literarische Zitate erinnern? Es müsste sich um eine eindringliche, aufwühlende, vielleicht unbegreifliche Szene handeln. Um eine Szene, in der man zu tragischer Erkenntnis gelangt - wie Krille es tut, als er am Ende der von ihm erzählten Geschichte ein Plakat der Trapezkünstlerin Miss Juvenile sieht und damit - wortlos - zahlreiche Fragen beantwortet werden. Fragen, die sich am Beginn seiner Erzählung an jenem Fahrrad entzünden, dass Krille nur allzu gut kennt, also auch erkennt, als die Polizei ihn danach fragt. Und damit jedoch sind wir - obwohl am Anfang von Peter Pohls unvergleichlichem Roman "Jan mein Freund" - wieder an einem Ende angelangt. "Beginnen wir lieber am Anfang," meint auch Krille, denn an dieses Ende mag er wohl nicht denken. Ausgehend vom Indiz des Fahrrades und der Befragung durch die Polizei rollt der schwedische Autor der analytischen Struktur eines Kriminalromans folgend die Freundschaft zwischen Krille und Jan neu auf. Festgemacht an diesem Indiz und zeitlich genauestens verortet ("Jan lernte man per Fahrrad kennen. In meinem Fall war das am letzten Tag im August um halb sieben, am 31.08.54 um 18.32 Uhr" [...] S. 8.) liegt das besondere Moment dieser Freundschaft in der Ungewissheit. Darüber, wer dieser Jan ist, der aussieht wie ein Mädchen und zuschlägt wie ein Junge; dieser Jan, der keine Ahnung von Dingen hat, die Krille alltäglich erscheinen und auf jede körperliche Berührung mit höchster Aggressivität reagiert; Jan, der für einen Kasten Limo auf seinem Fahrrad den Höllenritt über die 62 Stufen am Ende der Kvargatan wagt; Jan, der diesen Kasten Guldus bei Krille unterstellt und sich damit einen Vorwand verschafft, vorbeizukommen, einfach so. Denn obwohl Jan nie verlegen ist um eine ruppige Antwort, fasst er Zuneigung zu Krille und dessen Familie, scheint hier etwas ihm Unbekanntes zu finden: Zuneigung und Freundschaft. Jan ist oft wochenlang verschwunden und nur durch ein Puzzle an Querverweisen, Zeitungsausschnitten und Beobachtungen vermag Krille - zumal im Rückblick - zunehmend Ahnung davon zu bekommen, in welchem Umfeld Jan lebt. In Krilles mit mathematischer Leidenschaft vermessenem Leben wirkt der das Geheimnis schlechthin personifizierende Jan wie ein Fremdkörper. Und doch kommt in deren Freundschaft eine unerklärliche Gefühlsebene immer stärker zu tragen - so als würde sich eine Liebesbeziehung anbahnen: "Wie lange ich so dalag, weiß ich nicht, ich weiß nur, dass ich eingehüllt in Teer- und Tannenduft aufwachte, dass Jan mich umschlungen hielt, sich eng an mich presste und herzzerreißend schluchzte, und da begann ich ebenfalls zu weinen. [...] Jetzt hatten wir ein neues Kapitel angefangen, Jan. Hat man erst einmal gemeinsam geweint, ist die Welt eine andere. (S. 281f.) In der Verfilmung des Romans unter dem Titel "Mein Freund Joe" ist es diese Gefühlsebene, die Regisseur Chris Bould in den Mittelpunkt stellt. Hier wird auserzählt, was Peter Pohl in seiner besonderen Art des Schreibens in Schwebe lässt. Konkretisieren muss der Leser das Geschehene selber - und darin liegt wohl die größte Herausforderung von "Jan, mein Freund". 1991 mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichnet, erscheint Peter Pohls in seiner Eindringlichkeit beinahe einzigartiges Buch nun in einer neuen Taschenbuchausgabe. Eine Gelegenheit, um es endlich zu lesen oder wieder zu lesen, denn: Was immer man in seinem Leben vergisst, dieses Buch ist es wert, sich - an Giambattista Bodonis Stelle - daran zu erinnern.
Personen: Pohl, Peter Kicherer, Birgitta
5.1 Pohl
Pohl, Peter:
Jan, mein Freund / Peter Pohl ; Birgitta Kicherer. - Ravensburg : Ravensburger Buchverlag, 2004. - 352 S. - Aus dem Schwed. von Birgitta Kicherer
ISBN 978-3-473-58018-7 kt. : € 7,95
Erzählungen und Romane ab 9 Jahre - Buch